Besondere Situationen erfordern besondere Hilfen. Wir helfen, Ihre Rechte bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder im Alter durchzusetzen.
Keine schlüssigen Konzepte durch "Analyse und Konzepte"
Bewilligungsbescheide für Arbeitslosengeld II müssen oft vorläufig erstellt werden, weil zu Beginn eines Monats oder Jahres noch gar nicht klar ist, welches Einkommen die betroffenen Personen in der nächsten Zeit haben werden. Seit dem 1. August 2016 kann das Jobcenter mit vorläufigen Entscheidungen sehr weitgehend in Ansprüche von Betroffenen eingreifen.
Mit dem neuen § 41 a SGB II ist es vor allem möglich, bei der vorläufigen Entscheidung Freibeträge außer acht zu lassen. Achtung: diese vorläufigen Entscheidungen können dann nur noch für die Zukunft
zurückgenommen werden, wenn kein Widerspruch erhoben wird!
Am Ende des Leistungszeitraums muß das Jobcenter nur dann mit den tatsächlichen Zahlen nachberechnen, wenn der Anspruch tatsächlich geringer war als vorher angenommen. Ist er höher, muß das Jobcenter
nicht von Amts wegen neu berechnen und nachzahlen, sondern nur auf Antrag. Diesen Antrag muß man innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Leistungszeitraums stellen. Wenn man dann nicht mehr alle
Unterlagen zum Einkommen der gesamten Bedarfsgemeinschaft vorlegen kann, kann das Jobcenter die Nachberechnung wenigstens teilweise verweigern.
Ein Beispiel: Eine Mutter mit einem Kind zieht im Januar mit ihrem Freund zusammen. Der Freund arbeitet und verdient wechselndes Einkommen, ca. 1.000,00 € netto. Das Jobcenter setzt für das Jahr
vorläufige Leistungen fest, berücksichtigt dabei aber zu hohes Einkommen und keine Freibeträge. Weihnachten streiten die Partner, er zieht weg und meldet sich nicht mehr. Die Frau will nun die
Leistungen für das letzte Jahr nachbezahlt haben, kann aber keine Lohnabrechnungen ihres Ex mehr vorlegen. In diesem Fall ist klar, daß die Leistungen erheblich zu niedrig waren, und zwar mindestens
etwa 168,00 € monatlich. Das ergibt sich schon aus den nicht angerechneten Freibeträgen. In diesem Beispielsfall würden also Mutter und Kind etwa 2.000,00 € über ein Jahr zu wenig bezahlt worden
sein, die Korrektur ist aber nicht mehr möglich, weil keine Unterlagen des Partners mehr vorgelegt werden können.
Ein abgewandeltes Beispiel: Der Freund von Beispiel 1 arbeitet und erwartet im Januar ca. 1.000,00 € netto. Das Jobcenter setzt Leistungen Mitte Dezember vorläufig - diesmal auch unter
Berücksichtigung des Freibetrags - für Januar bis Dezember mit dem zu erwartenden Einkommen richtig fest. Leider zahlt der Arbeitgeber den am 15. Januar fälligen Lohn nicht aus, weil er
Zahlungsschwierigkeiten hat. Die Familie wartet auf den Lohn und ruft beim Arbeitgeber an. Der vertröstet, nach einer Woche wendet sich die Familie telefonisch an das Jobcenter. Dort erreicht sie das
Callcenter, das erklärt, man müsse den Anspruch gegen den Arbeitgeber geltend machen, der sei vorrangig. Notfalls könnte das Jobcenter schon eintreten, aber das sei das letzte Mittel. Deshalb wartet
die Familie noch ab. Am 1. Februar schließlich wendet sich die Familie schriftlich an das Jobcenter und verlangt für Januar die Nachzahlung. Leider vergeblich: Die Nachzahlung für Januar kann in
diesem Fall erst nach Ablauf des gesamten Jahres verlangt werden. Für die Zeit ab Februar kann noch abgeändert werden. Hätte die Familie vorsorglich (also ohne eigentlichen Grund, der Bescheid war ja
richtig) Widerspruch erhoben, könnte auch noch der Januar abgeändert werden.
Selbst wenn die Familie sofort am 16. Januar zum Jobcenter geht und Abänderung beantragt, kann nach dem Gesetzeswortlaut nur noch für die Zukunft, also für den 16. - 31. Januar, abgeändert werden,
wenn die Widerspruchsfrist schon abgelaufen ist. Wie diese Vorschrift ausgelegt werden wird, muß sich noch zeigen. Die Gefahr, daß lebensnotwendige Leistungen nicht bezahlt werden, ist aber sehr
hoch!
Also gilt:
1) Man muß gegen alle vorläufigen Bescheide Widerspruch einlegen, auch wenn sie richtig sind. Nur so kann man Änderungen während des Laufs des Bewilligungszeitraums auf jeden Fall rechtzeitig
abfangen.
2) Leben mehrere Menschen zusammen in einer Bedarfsgemeinschaft, muß jeder seine Einkommensunterlagen und Kontoauszüge unbedingt dem anderen sofort zur Verfügung stellen. Die Unterlagen sollte man
regelmäßig kontrollieren und ggf. ergänzen. Am besten legt man einen gemeinsamen Ordner für diese Dinge an. Wenn man mit seinem Partner nicht verheiratet ist, sollte man sich von ihm/ihr eine
Vollmacht geben lassen, mit der man bei Banken, Arbeitgebern und Sozialleistungsträgern Auskünfte zum Einkommen und Kontoauszüge einholen kann.
3) Wer Unterlagen beim Jobcenter abgibt, muß sich vom Jobcenter bestätigen lassen, wann welche Dokumente dort abgegeben wurden. Wer Unterlagen faxt, braucht einen qualifizierten Sendebericht, aus dem
genau hervorgeht, welche Unterlagen wann eingereicht wurden (nicht nur: am 17.1. sind 7 Seiten eingegangen). Der Betroffene muß nämlich beweisen, daß er die Unterlagen eingereicht hat.
erstellt von RAin Monika Sehmsdorf
Die Wohnkosten steigen. Die durchschnittlichen Mieten aller Wohngeldbezieher sind zwischen 2012 und 2015 zwischen 7% und 27 % gestiegen. Der Staat hat dieser Entwicklung mit der Erhöhung des Wohngelds zum 1. Januar 2016 Rechnung getragen. Um so mehr erstaunt es, daß immer mehr Personen, die Arbeitslosengeld II oder Grundsicherung erhalten, nach Auffassung der zuständigen Ämter in zu teuren Wohnungen leben.
Während nach dem Wohngeldgesetz z.B. Weiden in Mietenstufe I fällt und somit durchschnittlich 312,00 € Kaltmiete für Haushalte mit einer Person bezahlt werden, ist nach Auffassung des Jobcenters nur eine Kaltmiete von 283,50 € angemessen. Das Jobcenter beruft sich auf ein Konzept zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten, das im Auftrag der Stadt Weiden von einer privaten Firma „Analyse und Konzepte“ erstellt wurde und seit Mai 2014 angewendet wird. Dieses Konzept kommt aufgrund einer eigens durchgeführten Erhebung zu erheblich niedrigeren Mietkosten, als sie bei den Wohngeldstellen durchschnittlich registriert werden. Auch die Landkreise Neustadt und Tirschenreuth haben ähnliche Konzepte entwickeln lassen.
Bisher gibt es noch keine gerichtliche Entscheidung darüber, ob diese Konzepte tatsächlich die Unterkunftskosten real abbilden und somit auch tatsächlich angewendet werden dürfen. Das ist fraglich, weil die neuen Angemessenheitsgrenzen z.B. in Weiden und Neustadt üblicherweise selbst bei Wohnungen im Sozialen Wohnungsbau überschritten werden.
Für alle Neuvermietungen ab Mai 2014 bekommen aber alle Bezieher von Arbeitslosengeld II und Grundsicherung nur Leistungen innerhalb der neuen, umstrittenen Angemessenheitsgrenzen . Das hat erhebliche Auswirkungen:
Umzugskosten und Kaution werden nur übernommen, wenn die neue Wohnung „angemessen“ ist. Damit verweigert das Jobcenter regelmäßig die Übernahme solcher Kosten ebenso wie die Nachzahlung von Betriebskostenabrechnungen . Viele Bedürftige erhalten auch nach dem Auszug eines Familienmitglieds für die nun zu große und „teure“ Wohnung nur noch sehr geringe Leistungen, finden aber keine „angemessene“ Wohnung und müssen daher einen Großteil ihres Regelsatzes, der eigentlich für den Lebensunterhalt gedacht ist, für die Miete aufwenden.
Es spricht vieles dafür, daß die Konzepte so unwissenschaftlich erarbeitet wurden, daß sie im Ergebnis nicht halten werden. Das Bayerische Landessozialgericht hat in einer von unserer Kanzlei erwirkten Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz im Juni 2015 so deutliche Schwachstellen gesehen, daß es das Jobcenter Weiden-Neustadt verpflichtet hat, zwei Antragstellerinnen einstweilen höhere Kosten als im Konzept vorgesehen zu bezahlen (BayLSG, B v, 11.06. 2015, L 7 AS 332/15 B ER).
Wenn die neuen Angemessenheitsrichtlinien tatsächlich von den Gerichten für unanwendbar gehalten werden, dann könnte eine erhebliche Nachzahlung für viele Betroffene herauskommen. Wichtig ist aber, daß gegen alle entsprechenden Bescheide Rechtsmittel eingelegt werden.
Erstellt von Rechtsanwältin Monika Sehmsdorf
|
|
|